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@ Michael Meyen
2025-02-24 08:50:56
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Worüber schreibt man am Tag nach einer Bundestagswahl? Über morgen und übermorgen, worüber sonst. In der Medienwelt heißt die Zukunft KI. Was passiert mit den Redakteuren, mit den Inhalten, mit dem Publikum? Längst vergeht kein Tag mehr ohne entsprechende Umfragen und Wasserstandsmeldungen. Es genügt eigentlich schon, die Stellenanzeigen zu sichten. Am meisten verdient, wer vorgibt, den besten Prompt zu schreiben. Sag der Maschine, was sie machen soll. Wenn du das Optimum herauskitzelst, sparen wir drei Kollegen.
Eigentlich ist das nicht mein Thema, auch beim Schreiben nicht. Ich habe das natürlich ausprobiert und ChatGPT gebeten, diesen Text zu übernehmen. Etwas zu „KI und Medien“ im Stil von Michael Meyen. Versuch eins war so lala. Viele Kommas. Begriffe und Konstruktionen, die ich nie verwenden würde. Eine „der größten Herausforderungen der Geschichte“. Gähn. Auch eine freundliche Nachfrage hat nicht geholfen, obwohl mir der Bildschirm versprach, jetzt „kritisch und analytisch“ zu werden und meinen „klaren, prägnanten Schreibstil“ zu berücksichtigen. Nicht ein einziger Satz, den ich so formulieren würde, vom Inhalt ganz zu schweigen. Das übliche Blabla, schon in der Überschrift: „Die Zukunft der Medienwelt: Künstliche Intelligenz als Schlüsselakteur“.
Vielleicht hätte ich ein Bezahl-Modell nutzen sollen. Vielleicht wäre aber auch die Billigvariante besser gewesen, wenn Laura Lewandowski schon unser Interview veröffentlicht hätte. Laura hat ein paar Jahre bei der dpa gearbeitet, dann den Kanal [Meet Your Mentor](https://www.youtube.com/@meetyourmentor) zu einer Nummer gemacht und nun eine neue Idee. Sendungen rund um das Thema KI. Mich hat sie eingeladen, weil sie spannend fand, was ich zu Medien und Journalismus zu sagen habe. Um KI ging es dabei bisher so gut wie nie. Wie sagt ChatGPT so schön: eine der größten Herausforderungen in der Geschichte.
Laura hat es mir leicht gemacht. Sie kennt das YouTube-Publikum. 50 Tabs offen, mit einem Auge schon woanders, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Dieses Publikum braucht Struktur. Ich sollte ihr deshalb vorher drei Thesen schicken. Futter für die Haie und für uns zugleich etwas, woran wir uns entlang hangeln konnten.
## These 1: KI ist ein Angriff auf die Zukunft der Menschheit.
Größer geht es nicht, ich weiß. Was ist der Mensch? Was unterscheidet uns von anderen Tieren? In so einer Kolumne kann ich das nicht auflösen, schon gar nicht am Tag vor der Bundestagswahl. Deshalb nur zwei Punkte. Wir können Instinkte, Prägungen, Vorurteile hinter uns lassen. Der Hund muss fressen, wenn er Hunger hat. Wir nicht. Vielleicht noch wichtiger ist Transzendenz. Wir können uns etwas vorstellen, was es noch nicht gibt, und das Wirklichkeit werden lassen, wahrscheinlich meist nicht allein, aber mit ein paar Leuten, die an uns und unsere Idee glauben. Die Sprache verschleiert das, wenn sie *er-finden* sagt oder *ent-decken* – ganz so, als ob schon alles da ist und nur auf uns wartet. Ich zitiere hier freihändig Axel Klopprogge und verweise auf unser [Gespräch](https://www.youtube.com/watch?v=LUiUAhb2OXY\&t=).
Selbst eine perfekte KI (also eine, die weiß, welches Wort ich nie schreiben würde und was ich bisher über sie gesagt habe) schaut immer nur zurück, verlängert deshalb die Vergangenheit und zerstört so die Zukunft. Anders formuliert: Der KI fehlt sowohl die Transzendenz als auch die Option, heute alles ganz anders zu machen als bis gestern. Wenn dieser Satz nicht mehr stimmt, können wir das „K“ streichen und haben tatsächlich ein Problem. Der Begriff KI ist eine Mogelpackung, die uns etwas verspricht, was nicht zu haben ist (ein Mensch ohne seine Schwächen, ohne seine Natur, ohne die Launen der Tagesform), und uns so das nehmen könnte, was uns als Menschen ausmacht. Das ist so ähnlich wie beim Begriff [Faktencheck](https://www.youtube.com/watch?v=TiMtwqp_lKk). DIE Wahrheit, und das auch noch von Profis geprüft. An den Begriffen werdet ihr sie erkennen.
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## These 2: Gerade die Kreativen und die Medienleute, die KI jetzt feiern, sollten sich eher fürchten.
Ich habe gerade Mathias Döpfner gehört, im [Podcast](https://omr.com/de/daily/mathias-doepfner-axel-springer) von OMR. Ein Loblied auf KI. Endlich, endlich könne sich der Journalist auf seinen Job konzentrieren. Recherche, exklusive Nachrichten. Zusammenschreiben, was da ist: Das mache die Maschine jetzt schon besser. Mag sein.
Ich halte es wieder mit Axel Klopprogge, diesmal mit seinem Buch „Liebeserklärung an die Arbeit“, herausgegeben vom Goinger Kreis. Dort heißt es: Jede definierte Arbeit kann ersetzt werden. Alles, was von der Wiederholung lebt. In der Bewusstseinsindustrie sind das acht von zehn Jobs. Möglichkeit eins: Harari bekommt Recht. Lauter Nutzlose und Überflüssige, abzulenken mit Drogen und Computerspielen. Möglichkeit zwei: Die acht wollen das nicht, klammern sich an ihre Jobs und ziehen dafür die beiden auf ihr Niveau herunter, die bisher das verkörpern, was Döpfner als den Kern des Journalismus feiert. Überraschend bleiben. Nicht ausrechenbar sein.
Ich muss das nicht ausbuchstabieren und auch nicht sagen, was ich für wahrscheinlicher halte. Kein Text von Michael Meyen mehr. Stattdessen überall Vorgestanztes. Die KI schreibt dabei nur weiter, was wir seit Jahr und Tag erleben. Es ist ohnehin fast alles verschwunden, was sich nicht in [Zahlen](https://medienblog.hypotheses.org/521) ausdrücken lässt. Bauchgefühl, Urteilskraft. 10.000 Schritte musst du gehen, auch wenn der Körper sagt: Ich will das heute nicht. KI wird das verstärken. Eins oder null. Und wehe, dir gefällt das Ergebnis nicht. Schon heute schreiben selbst schlaue Menschen Bücher, die KI als Letztbeweis nutzen. Schaut her, liebe Leute: Die KI sagt das auch. Ich muss also Recht haben. Na da.
## These 3: KI ist ein Machtinstrument und könnte so ein neuer Filter für die Meinungs- und Willensbildung werden.
Wer schreibt, der bleibt, hieß es früher beim Kartenspiel. Übersetzt: Es gewinnt der, der die Maschinen füttert oder ihnen sagt, wo sie zu essen haben und wo besser nicht. Ich habe den [Überwachungskapitalismus](https://www.freie-medienakademie.de/medien-plus/31) gewürdigt, den [Digital Services Act](https://www.freie-medienakademie.de/medien-plus/brussel-greift-nach-dem-netz) und auch ganz grundsätzlich alles, was es zu [Propaganda und Zensur](https://www.freie-medienakademie.de/medien-plus/139) zu sagen gibt.
Um das nicht wiederholen zu müssen, erzähle ich eine Anekdote – eingesammelt bei einem Spaziergang mit jemandem, der in einem der Medienkonzerne ganz weit oben ist. Dieser Manager erzählte mir, dass sein Haus ein paar Jahre herumgebastelt habe an einem Programm, das die dpa ersetzt. Inzwischen sei man so weit. Kein Unterschied mehr zwischen dem, was über den Ticker kommt, und dem, was das Tool aus dem Netz zusammenbaut. Und? Hat man die dpa abbestellt, einen nicht ganz billigen Dienst? Das nun doch nicht. Es fiel das Wort Opportunitätskosten. Die Nachrichtenagentur gehört den Medienkonzernen. Wenn einer aussteigt, wird es für alle anderen teurer.
Fast hätte ich geschrieben: Es wäre auch schwerer geworden für Regierung, Behörden, Parteien und überhaupt alle, die die Medienwirklichkeit formen wollen, weil damit Herrschaft steht und fällt. Ein Anruf oder ein Mensch bei der dpa – und der Journalismus ruft im Chor zurück. KI macht sowohl den Anruf obsolet als auch den Brückenkopf im dpa-Raumschiff. In den USA hat dieses Beben längst begonnen, Stichwort USAID. Meine Wahlempfehlung ergab sich daraus fast von selbst: Bleiben wir offline, wo immer es geht. 
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