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@ Michael Meyen
2025-06-14 08:56:18Meine Karriere als Auftragsforscher neigt sich ihrem Ende entgegen. In zwei Wochen ist der Forschungsverbund „Das mediale Erbe der DDR“ Geschichte. Gerade hat mir der Geldgeber mitgeteilt, dass er sich nicht mehr Bundesministerium für Bildung und Forschung nennt, sondern Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt. BMFTR statt BMBF. Bitte, sehr geehrte Damen und Herren, verwenden Sie ab sofort nur noch das neue Logo. Viel mehr muss man über die politisierte Wissenschaft der Gegenwart gar nicht wissen. Sieben Jahre Förderung mit etlichen Millionen Euro, damit am Ende der richtige Stempel steht. Es soll mir keiner erzählen, dass das den Nachwuchs nicht formt.
Ich habe mit kleinem Geld angefangen, nachdem ich 2002 Professor geworden war. An der LMU in München hatte ich eigentlich alles, was ich brauchte. Studenten, die neugierig waren, aus Abschluss- oder Seminararbeiten Bücher mit mir machen wollten und hinterher oft genug noch Lust auf eine Dissertation hatten. Aufträge ergaben sich eher zufällig aus dem, was wir ohnehin machten. Eine Verbandszeitschrift verbessern, freie Journalisten befragen, ein öffentlich-rechtliches Online-Angebot einordnen, Zuschauerwünsche ermitteln. Ich habe dabei schnell gelernt, dass sich das nicht lohnt. Eine BR-Redaktion hat sich geweigert, unsere Ergebnisse überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, und eine Intendanz wollte eine kleine fünfstellige Summe, die wir längst für Personal ausgegeben hatten, erst überweisen, wenn wir im Bericht ein paar Kleinigkeiten umschreiben. Ich dachte: Lass die anderen den Euros nachlaufen. Ich mache einfach mein Ding.
Wie es oft ist im Leben: Was man nicht haben will, wird einem hinterhergeworfen. Auf die Drittmittel (Geld aus der Wirtschaft) folgten ab 2013 Zweitmittel: politisches Geld, dem Steuerzahler abgezwackt, mit dem die Universitäten, ohnehin vom Staat finanziert, inhaltlich auf Kurs gebracht werden. Ich war Sprecher in drei interdisziplinären Forschungsverbünden. ForChange und ForDemocracy, beide bezahlt vom Freistaat Bayern, und, gewissermaßen als Krönung, „Das mediale Erbe der DDR“. Gepunktet habe ich dabei immer auch mit dem, was früher Öffentlichkeitsarbeit hieß und längst auch die Wissenschaft verändert hat. In Kurzform: Reichweite ist mindestens so wichtig wie Tiefe. Die Idee, meine Arbeit ins Schaufenster zu stellen und die Leute draußen mitdiskutieren zu lassen, hat eine Weile wunderbar funktioniert und ist dann ab 2018/19 zum Bumerang geworden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Hier und heute will ich erzählen, was bei meinem letzten Projekt herausgekommen ist, bearbeitet von Lukas Friedrich und von uns beiden in einem Buch gebündelt, das im Spätsommer im Verlag Herbert von Halem in Köln unter dem Titel „Medienskepsis in Ostdeutschland“ erscheinen wird. Das Schlusskapitel trägt die Überschrift „Staatsferne, Ost-Bashing und die Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit“ und wird hier leicht gekürzt als ein Appetitmacher veröffentlicht.
Ein Fazit zu den Wurzeln der „Medienskepsis Ost“
Wieviel DDR steckt in der Unzufriedenheit mit den Leitmedien, die im Osten Deutschlands spätestens 2014 mit Pegida auch öffentlich sichtbar wurde und seither ein Dauerbrenner ist in den akademischen und öffentlichen Debatten, die sich um die Glaubwürdigkeit des Journalismus drehen? Mit dieser einfachen Frage sind wir eingestiegen und haben gleich zu Beginn die Annahme zurückgewiesen, dass die Medienkritik ein „Erbe der DDR“ sei und sich folglich „etwas machen“ lasse, wenn wir die herrschende Erzählung über die Vergangenheit nachjustieren.
Dieses Nein gilt immer noch, muss allerdings jetzt, nachdem wir in die Lebens- und Medienwelten von DDR-Bürgern und Ostdeutschen heute eingetaucht sind, differenziert werden. Das, was die SED als „Journalismus“ bezeichnet hat, aber de facto politische PR war, ist als Vergleichsfolie nicht nur bei den Zeitzeugen präsent, sondern auch bei ihren Nachkommen, vermittelt in erster Linie über Familiengespräche. Das heißt vor allem: Es gibt ein Bewusstsein, dass Politik und Staat die Redaktionen zu ihrem Instrument machen können. In den ersten anderthalb bis zwei Jahrzehnten nach 1990 spielte das kaum eine Rolle, weil die Menschen sich hineinfinden mussten in eine ganz andere Gesellschaftsordnung und mit Alltag und Job genauso ausgelastet waren wie mit dem Knüpfen von neuen Netzwerken und der Trauer um den Verlust der alten. „Ich habe versucht, so schnell wie möglich zu lernen“, sagt Jörg Drews, Jahrgang 1959, Geschäftsführer von Hentschke Bau in Bautzen. Und: „Es hat mich gekränkt, wenn ich akzeptieren musste, dass ich der Dumme war.“ Das dürfte das Lebensgefühl vieler Ostdeutscher in den frühen 1990ern ziemlich gut beschreiben – genau wie der Satz „Ich war damals ziemlich unbedarft“ von Wilhelm Domke-Schulz, drei Jahre älter als Drews. Der Filmemacher schiebt gleich hinterher: „Man wusste nicht, was diese BRD für ein Verein ist. Man war ja nie dort gewesen. Ich war mir sicher, dass ein paar Sachen bleiben werden. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Und ansonsten kann man sich überraschen lassen. Die Überraschung sah dann anders aus. Die DDR hat keine Kriege geführt. Die BRD schon. Und mit dem Faschismus: Da müsste ich jetzt ein bisschen ausholen.“
Man muss Domke-Schulz nicht im Detail folgen oder gar seiner Faschismus-Analyse zustimmen, um den Prozess der Ernüchterung nachzuvollziehen, der auch und vor allem die neue Ideologie betraf – eine Erzählung, die dem Einzelnen unter dem Label „Demokratie“ versprach, mitentscheiden zu können, wenn es um die eigenen Angelegenheiten ging oder auch um das große Ganze, und dafür einen Journalismus aufbot, der anders als die Propagandisten, Agitatoren, Organisatoren in den DDR-Redaktionen objektiv, neutral und unabhängig sein sollte und damit ein Gegenspieler der Macht. Dass das kein Märchen aus tausendundeiner Nacht ist, sondern eine Beschreibung der Realität, schienen zuerst die anderthalb Jahre „Basisdemokratie“ zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1991 zu bestätigen, 18 Monate, in denen Zeitungen wie Pilze aus dem Boden schossen, sich auch gegenseitig kritisierten und so eine Euphorie befeuerten, die nicht nur von den runden Tischen ausging, und dann vielleicht auch noch die neuen Herren (meist tatsächlich Männer) aus dem Westen, die anschließend übernahmen und die entsprechende Gewissheit ausstrahlten.
Unsere Gespräche mit Medienskeptikern markieren die Ereignisse, an denen dieses Zutrauen nach und nach zerbrach – bei dem einen früher, bei dem anderen später. Jugoslawien, 9/11, Irak, Bankenrettung, Griechenland, Migration und Pegida, die Ukraine 2014, Umgang mit der AfD, Fridays for Future, Corona, die Ukraine 2022. Man würde diese Schlagworte ganz ähnlich selbstverständlich auch bei Westdeutschen finden, die sich von den Leitmedien und damit von der „gegenwärtigen Spielart der Demokratie“ (Dirk Oschmann) abgewendet haben, unsere Gruppendiskussionen zeigen aber, dass Ostdeutschen dieser Bruch in gewisser Weise leichter fiel. Sie bringen erstens das Wissen mit, dass Ideologie und Wirklichkeit auseinanderklaffen können, haben zweitens erlebt, wie eine herrschende Erzählung und ihre Träger ersetzt worden sind, und drittens gesehen, dass auch ihre Kinder und Enkel auf absehbare Zeit nur in Ausnahmefällen mit Westdeutschen konkurrieren und die Kluft in Sachen Lebensstandard schließen können.
Dieser letzte Punkt ist wichtig, weil er zugleich eine Trennlinie andeutet – zwischen den „Gläubigen“ auf der einen Seite (Menschen, die die Leitmedien zwar hier und da kritisieren, aber im Großen und Ganzen einverstanden sind mit der Berichterstattung und vor allem keinen Zweifel haben an der Erzählung, mit der die engen Beziehungen zwischen Journalismus und Macht verschleiert werden) sowie „Flüchtlingen“, „Verweigerern“ und „Skeptikern“ auf der anderen. Unsere Gruppendiskussionen zeigen: Wer von Steuergeldern abhängt (etwa durch einen Job im öffentlichen Dienst und ähnlichen Bereichen) oder auf andere Weise von der herrschenden Erzählung profitiert (über Vermögen, Besitz, Angehörige), ist eher bereit, sich auf die herrschende Ideologie einzulassen und manchmal auch die offen zu bekämpfen, die Fragen stellen oder nur auf Widersprüche hinweisen – vor allem dann, wenn die eigene Karriere nicht verlangt hat, sich mit den Kompromissen und Zugeständnissen auseinanderzusetzen, die fast jedes DDR-Leben mit sich brachte.
Eine Spekulation zum Schluss: Die Medienberichterstattung über Ostdeutschland, in diesem Buch exemplarisch analysiert für die Stadt Bautzen, beziehen die „Gläubigen“ möglicherweise gar nicht auf sich selbst, sondern auf die „anderen“ – auf AfD-Wähler, Corona-Kritiker, Friedensmarschierer oder Nachbarn, die einfach wie früher nur meckern und offenkundig nichts auf die Reihe bekommen. Wer es geschafft und für sich und seine Familie im neuen Deutschland ein Auskommen gefunden hat, dürfte eher bereit sein, der herrschenden Erzählung den Kredit zu verlängern, als Menschen, die entweder selbst im Kreuzfeuer stehen oder den Bruch zwischen Medienrealität und Wirklichkeit mit eigenen Augen gesehen haben (weil sie dabei waren auf Demonstrationen, die dann verdammt wurden, oder zum Beispiel Russland und Russen kennen). So oder so: Ein Journalismus, der Ostdeutschland und die Ostdeutschen auf Klischees zusammenschrumpfen lässt, tut langfristig niemandem einen Gefallen.
Titelbild: Pegida 2015. Foto: Opposition 24, CC BY 2.0