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@ Die Friedenstaube
2025-06-10 06:33:27Autor: Anna Nagel. (Bild: Lukas Karl). Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier. Die neuesten Pareto-Artikel finden Sie auch in unserem Telegram-Kanal.
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Im ersten Teil von «Mitgefühl und Vergebung» bin ich, um eine Übersicht zu verschaffen, eher auf eine generelle Ebene eingegangen, und wie wir Schuldvorwürfe und Zorn durch Perspektivwechsel entschärfen können. Es ging mehr um die «großen» Themen, die Themengebiete, die unverzeihlich scheinen. In diesem Text möchte ich jetzt einmal näher heranzoomen und am direkten Beispiel einen Weg der Reflexion aufzeigen, der zu überraschenden – und hoffentlich auch für dich – versöhnlichen Ergebnissen führen kann. Denn häufig halten wir an kleineren Situationen und Verletzungen fest, und, obwohl der Verstand «weiß», dass man schon irgendwie loslassen könnte, weiß man manchmal nicht recht wie.
Teil 1 finden Sie hier.
Möchtest du das wirklich?
Vor einiger Zeit tat jemand etwas, das mir schwer zu Herzen ging. Es widersprach meinem Verständnis von Mitgefühl, Anstand, Moral und Freundschaft und obwohl ich nicht direkt angegriffen wurde, verletzte und empörte mich dieses Verhalten zutiefst. Ja, ich war verletzt und ja, ich war wütend. All das fühlte ich durch, akzeptierte es, doch loslassen konnte ich es anscheinend irgendwie noch nicht. Und obwohl ich weiß, dass Heilung Zeit braucht, spürte ich, dass noch irgendetwas fehlte. Irgendwas, was ich noch nicht sah, noch nicht erkannt oder gelernt hatte.
Es kamen mir also immer wieder verärgerte Gedanken in den Sinn und wenn durch irgendeinen «Zufall» das Thema wieder auf den Tisch kam, kam alles wieder hoch. Bis ich die Gedanken samt Gefühlen bis zum Schluss zurückverfolgte.
Ich fragte mich, was ich denn eigentlich wollte; was könnte dazu führen, dass dieser Anteil in mir befriedet wird? Was ist sein Antrieb? Der Anteil wollte nämlich die ganze Zeit über immer mal wieder Aktionen von mir fordern, von denen ich aber nicht den Eindruck hatte, dass es dadurch besser werden würde. Also fragte – besser gesagt stellte – ich diesen Anteil.
«Möchtest du, dass diese Person Schmerz erleidet? Dass es ihr emotional schlecht geht? Sie Reue, Schuld und Scham empfindet? Möchtest du, dass ihr gar Unglück geschieht, dass sie ihren Job verliert, oder ihr Geld? Liebe Anna, möchtest du das wirklich? Was ist das dann? Eifersucht? Neid? Rache? Schadenfreude? Glaubst du wirklich, dass es dir dann besser geht? Möchtest du so sein oder vielmehr: Bist du so? Liebe Wut, ist das deine Absicht?»
Etwas betroffen sah ich mich in mir um und es wurde still. Ein eigentümliches Gefühl breitete sich im Bauch aus. Die Wut war verflogen und es zeigte sich eher eine Mischung aus Scham, etwas Schuld aber auch Demut. Eigentlich wollte ich das nämlich nicht. Eigentlich bin ich nicht rachsüchtig. Und möchte es auch gar nicht sein.
«Nein, ich möchte nicht, dass es der Person schlecht geht», beschwichtigte vorsichtig eine leise innere Stimme, die sich traute die Stille zu durchbrechen. «Eigentlich», fügte sie zaghaft hinzu, «wünsche ich mir, dass sie sieht, wie es mir geht…».
Verstehen und Mitgefühl breiteten sich aus. Berührt bedankte ich mich für die Tiefe und Ehrlichkeit, die dieser Anteil mir entgegen gebracht hatte und nahm ihn innerlich fest in die Arme. «Ich sehe dich, ich fühle dich. Und ich liebe dich».
Gesehen werden
Diese Erkenntnis erinnerte mich an das Thema Anerkennung, das ich im Beitrag «Der Schmerz des Nicht-Anerkanntseins» bereits aufgefasst habe und daher in diesem Text nur kurz erwähne. Wer den Text kennt, weiß, dass ich gerne mit der eigenen Vorstellungskraft arbeite. Also stellte ich mir vor, wie diese Person vor mir steht und meinen Schmerz und mein Leid sieht, spürt und anerkennt. In dieser inneren Situation war ebenfalls keine Wut mehr, kein Impuls zu schreien oder zu argumentieren, zu debattieren. Es war alles gesagt. Es war alles in Ordnung. Wenn wir das Glück haben, dass diese Person erreichbar ist, ist es natürlich heilsam, wenn wir die Möglichkeit haben, ihr unsere Gefühle mitzuteilen. Dafür ist es aber nicht minder wichtig, sich darüber bewusst zu werden, was wir denn eigentlich brauchen. Es geht aber tatsächlich auch allein.
Und ich frage mich, ob es beim Thema Rache generell im Kern darum geht, dass wir uns nicht gesehen fühlen. Dass wir uns stumm und taub und hilflos – möglicherweise gar vollends machtlos – fühlen. Wenn unsere Grenzen verletzt oder überschritten, wenn sie möglicherweise komplett niedergerissen wurden, versucht etwas in uns, sich selbst zu behaupten.
«Du hast deine Kindheit vergessen, aus den Tiefen deiner Seele wirbt sie um dich. Sie wird dich so lange leiden machen, bis du sie erhörst.»
– Hermann Hesse
Manchmal aber können wir es nicht; wir können in einigen Fällen – und wollen in anderen – nicht mit gleicher Kraft zurückschlagen. Sei es, weil die Person nicht erreichbar ist (physisch oder mental) oder weil uns etwas innerlich bremst. Solange aber der Schmerz da ist, solange er nicht gesehen und geheilt wird, wird ein anderer Aspekt in uns immer lauter werden. Er bleibt im Verteidigungsmodus, er will aus der Ohnmacht zurück in die Selbstwirksamkeit. Und so meint er lauter und lauter werden zu müssen, um sich gesehen und gehört zu fühlen. Er meint, er müsse mit gleicher Wucht antworten oder sogar noch lauter werden, um seine Anerkennung zu bekommen – und letztlich seinen Frieden zu finden.
Da ist es diesem Verteidigungssystem schlicht nicht bewusst – oder auch egal –, ob das eigene Verhalten niederen moralischen Impulsen entspringt, «Der andere hat angefangen!», und auch, ob wir uns selbst damit schuldig machen sowie, ob unsere, möglicherweise irgendwann durch Überdruck entstandene Auslebung unserer Wut überhaupt noch die Person trifft, die uns eigentlich einst diese Wunde zufügte, oder ob wir sie auf andere projizieren. Hier bedarf es tiefer Ehrlichkeit mit uns und unseren Gefühlen und Impulsen.
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Schuld und Frieden
Diese Form von Reflexion kann nur auf einer anderen Ebene stattfinden, als der des traumatisierten Anteils. Auf einer, von der aus wir auch sehen können, ob wir uns durch unsere eigene Unversöhnlichkeit schuldig machen.
Ab wann machen wir uns eigentlich selbst schuldig? Sind wir erst Schuldige, wenn wir handeln? Oder bereits, wenn wir jemand anderem Schlechtes wünschen? Gibt es eine «energetische Schuld»? Oder gibt es Schuld überhaupt? Und gibt es «Das Böse»? Sitzt es in jedem von uns? Diese Fragen kann sicherlich nur jedes Gewissen für sich selbst beantworten.
Falls es «Das Böse» gibt, scheint es sich durch unversöhnte Verletzungen in uns hineinzuschleichen oder auszubreiten. Die verletzten Anteile, die eigentlich nur gesehen werden wollen, fungieren als Trittbrett für Wut und Rachegelüste. Sie können im Extremfall als «Entschuldigung» oder Rechtfertigung dienen – oder vielleicht besser missbraucht werden –, endlich auch mal wütend und unmoralisch zu sein. Wenn im extremsten Fall sterbende Kinder im Krieg als Grund hergenommen werden, um auf der anderen Seite der Welt jemanden erschießen zu «dürfen», dann wird es, meinem Empfinden nach, arg düster.
Aber gleich, wo das «Böse» sitzt oder ob es es in Reinform gibt: Wir haben die Wahl. Immer. Unrecht im Außen ist keine Legitimation dafür, selbst Unrecht zu begehen, denn es wäre schlichtweg eine Ausrede. Der Kern unserer Gedanken und Handlungen findet sich in uns selbst. Daher ist es unsere Aufgabe, im eigenen Herzen Frieden zu schließen, unseren Schmerz anzuerkennen, unsere Wunden zu heilen und dem Bösen das Trittbrett zu entziehen, denn – ob es eine gedanklich «energetische» Schuld gibt oder nicht –, eines ist klar:
Wenn wir an Wut, Neid und Rachegedanken festhalten, bleiben wir uns unseres eigenen inneren Friedens schuldig. Ebenso des Anteils an Frieden, den wir in die Welt bringen könnten.
«Wenn wir den Frieden nicht in uns selbst finden, ist es sinnlos, ihn anderswo zu suchen.» – François de La Rochefoucauld
Und wenn das noch schwer fällt, erinnere ich an dieser Stelle noch einmal an die Worte der weisen Frau aus dem ersten Teil: «Dann verzeih dir wenigstens selber deine Unversöhnlichkeit», denn «Mitgefühl beginnt bei uns selbst», – worauf ich im nächsten Teil dieser Reihe näher eingehen werde. Denn niemand von uns ist frei von Schuld; und manchmal ist die schwierigste Aufgabe, sich selbst zu vergeben. Somit sind auch wir auf unsere eigene Gnade, unser eigenes Verständnis und Mitgefühl angewiesen.
Und wer es schafft, sich selbst zu verzeihen, dem wird es auch gleich leichter fallen, anderen zu vergeben.
«Vergeben heißt, einen Gefangenen zu befreien und zu entdecken, dass der Gefangene du warst.» – Lewis B. Smedes
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