@ Michael Meyen
2025-02-05 14:58:26
Zugegeben: Die Erwartung war groß. „Angepasst. Aktivistisch. Abgehoben“, ruft das Cover. Triple-A sozusagen. Und das in einem Buch über die *Tagesschau*, geschrieben von einem Ostdeutschen, der dort sechs Jahre gearbeitet hat, vorher lange beim MDR war und außerdem damit wirbt, auch Privatfernsehen und Presse zu kennen. Mehr Insider geht nicht. Die drei Adjektive mit dem großen A im gelben Punkt sagen: Jetzt spreche ich. Jetzt wird abgerechnet.
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Das Marketing hat funktioniert, nicht nur bei mir. Platz drei in der *Spiegel*-Bestsellerliste und Platz sieben in den Wochencharts von *Amazon*, nur knapp hinter Angela Merkel. Ich dachte eigentlich, dass ich nach [Claus Kleber](https://medienblog.hypotheses.org/958) auf ewig die Finger lassen würde von den Ergüssen beitragsfinanzierter Redakteure. Was soll da schon kommen? Wir sind frei. Niemand ruft an. Niemand redet uns rein. Wir machen das, was die Nachrichtenlage verlangt und was wir kraft Ausbildung und Wassersuppe für richtig halten.
Eine ganze Menge Claus Kleber steckt auch in Alexander Teske. Staatsfunk? Nicht doch. Wir sind halt „alle ähnlich sozialisiert“ (S. 110), haben die „gleichen Relevanzkriterien“ (S. 108) und „schreiben voneinander ab“ – „aus lauter Unsicherheit, etwas ‚falsch‘ zu machen“ (S. 109). Wenn die Sprecherin des Bundespräsidenten, eine Kollegin, die die Seiten gewechselt hat, doch mal nachhelfen muss, dann ist das in der Welt von Alexander Teske die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Kein Einfluss, nirgends – bis auf den Seiten 140 und 141 plötzlich Reiner Haseloff auftaucht, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Alexander Teske braucht diesen Redaktionsbesuch („Haseloff redete über eine Stunde (…) im vollbesetzten Konferenzraum“) für eine seiner Kernthesen. Der Osten, sagt er, ist der Redaktion in Hamburg nicht einfach nur egal. Dieser Haseloff nervt. O-Ton einer *Tagesthemen*-Frau: „Sollen wir jetzt etwa über den Rosenmontag in Köthen berichten?“
Vermutlich war es dieser Teil, der mich hat rückfällig werden lassen. Die „[Arroganz der Westmedien](https://www.message-online.com/das-wissen-um-die-wucht/)“ ist eines meiner Lebensthemen. Alexander Teske liefert dafür reichlich Futter. Zehn von 300, schätzt er, sind im *Tagesschau*-Maschinenraum „ostdeutsch sozialisiert“ (S. 141). Genauer geht es nicht, weil man das im Fall der Fälle lieber für sich behält, immer noch. Achtung: Karrierehindernis. Der Dialekt sowieso. Teske, ein Sachse, nahm „jahrelang Sprecherziehung“, um im *Ersten* auf Sendung gehen zu dürfen (S. 156). In Bayern oder Hessen lachen darüber die Hühner. Entsprechend sieht der Osten aus in der *Tagesschau*. Wenn das Volk hier sprechen darf, sagt Kronzeuge Alexander Teske, „werden die kürzesten, plakativsten und dümmsten Aussagen“ bevorzugt, „gern in emotionaler Tonlage“ (S. 143). Dass die Redaktion nur Westpresse abonniert (Ausnahme: die LVZ, die aber keiner liest, S. 146), passt genauso in dieses Bild wie das Sozialporträt einer Redaktion, in der man Arbeiterkinder, HSV-Fans oder Nichtakademiker mit der Lupe suchen muss, dafür aber an der Spitze eine Phalanx von zehn Chefs vom Dienst findet, die auf 11.000 Euro brutto kommen (manchmal offenbar auch mehr, S. 23), für ein „Klima der Angst“ (S. 51) sorgen und, so sagt es jedenfalls Teske, selbst bestimmen, wer zu ihnen aufrücken darf (S. 29).
Was fängt man mit alldem an? Vor allem: Wer kann etwas damit anfangen? Alexander Teske erwähnt einen MDR-Kommentar von Rommy Arndt, gesprochen im Januar 2023, der gegen deutsche Panzer in der Ukraine war (S. 144). In der *Tagesschau* undenkbar, sagt er, und für Rommy Arndt der letzte große öffentlich-rechtliche Auftritt. Auch Sarah Frühauf kommt bei ihm vor, eine andere MDR-Journalisten, „berühmt“ geworden durch einen *Tagesthemen*-Kommentar im November 2021, der einer Impfpflicht das Wort redete und „alle Ungeimpften“ gar nicht sehr subtil mitverantwortlich machte für die „wohl Tausenden Opfer dieser Corona-Welle“ (S. 41). Teske beklagt, dass die *Tagesschau* das Thema RKI-Protokolle erst fünf Tage nach der Veröffentlichung aufgegriffen hat und dabei das Online-Magazin *Multipolar* nicht erwähnte (S. 127). Davon abgesehen gibt es die Gegenöffentlichkeit bei ihm nicht. Nicht einmal die Dokumentation der [Ständigen Publikumskonferenz](https://publikumskonferenz.de/blog/), die sich lange in weiten Teilen um die *Tagesschau* drehte, oder die entsprechenden [Bücher](https://medienblog.hypotheses.org/8010). Alexander Teske mag nicht, wenn jemand „Zwangsgebühr“ sagt (S. 191), nutzt „Querdenker“ als Schimpfwort (S. 25), hält Telegram für einen Ort, an dem sich „bevorzugt Rechtsradikale, Waffenhändler, Drogendealer, Coronaleugner und Reichsbürger“ tummeln, und wirft der *Bild-Zeitung* vor, „jeden noch so kleinen Fehler“ zum Skandal aufzublasen (S. 115). Dass Sarah Frühauf ihren Kommentar sprechen konnte, passiert bei ihm einfach so. War knapp bei der Abstimmung. Drei Namen zur Auswahl. Und am nächsten Morgen wundern sich alle.
Was also, ich wiederhole diese Frage, fängt man mit einem Buch an, das sich eher wie ein Bewerbungsschreiben für öffentlich-rechtliche Führungsaufgaben liest, so sich die Zeiten doch noch ändern sollten? Punkt eins: Die Redaktionen der Leitmedien sind nicht so homogen, wie es von außen oft scheint. Alexander Teske trägt die Auseinandersetzungen von innen nach außen – sicher ein Grund, warum der NDR eher [dünnhäutig reagierte](https://www.turi2.de/aktuell/ndr-prueft-abrechnungsbuch-von-ex-tagesschau-mitarbeiter/) und darauf hinwies, dass sich der geliebte Ex-Kollege noch 2022 erfolglos auf eine Dauerstelle beworben hat.
Punkt zwei, wichtiger: Das Buch von Alexander Teske dokumentiert den Wandel im Journalismus, den wir gerade live erleben und erleiden. Teske selbst steht dabei für das Früher. Sagen, was ist. Sachlich, nüchtern, mit Distanz. Auch dann, wenn es um die AfD geht. Die wichtigen Themen nach vorn und nicht die, die Quote garantieren. „Nachrichten pur“, wie er das an einer Stelle nennt (S. 227) – ohne Soft News und Infotainment, ohne elend lange Fußball-, Promi- und Katastrophenblöcke mit Bochum gegen Heidenheim, Waldbränden noch und nöcher und jeden Pups der Royals, auch ohne „moderative Sprache“ (S. 226). Nachrichten pur heißt bei ihm im Subtext auch: Finger weg von den Digitalplattformen (im Moment jeden Tag bedient von 20 Redakteuren plus Planer, Grafiker, Cutter, S. 271). Finger weg auch davon, einfach ein, zwei Minuten länger zu machen, um die Quote mit denen aufzufüllen, die nur die nächste Sendung sehen wollen (S. 232).
Das ist in diesem *Tagesschau*-Buch-Kosmos auch ein Streit zwischen Alten und (oft schlechter bezahlten) Jungen, aber nicht nur. Alexander Teske erzählt, wie er mit seinem Journalismus-Ideal auch und gerade an der Generation 50+ gescheitert ist (vor allem an Männern, die im Dienst Antifa-T-Shirts tragen und den FC St. Pauli lieben) – auch, weil ein Ostdeutscher wie er in Hamburg kaum auf Seinesgleichen stößt. Über den Tellerrand zu schauen, hat er dabei trotzdem nicht gelernt. Anders formuliert: Auch in einer *Tagesschau* made by Alexander Teske würde ein Teil der Wirklichkeit fehlen.
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