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@ Roland
2025-05-24 20:17:45Ich liebe Pareto. Für das was es ist, viel mehr aber für das was es derzeit wird - der Marktplatz der Ideen. Er entsteht durch gemeinsames Engagement von Entwicklern, Autoren und aktiven Lesern. Es ist ein lebendiges Medium, das jeden Tag wächst, quantitativ wie qualitativ, durch offene Interaktion, was es in dieser Form einzigartig macht.\ \ Mein Text ist inspiriert durch den Artikel von Alexa Rodrian vom 22. Mai über den Auftritt von Wolf Biermann bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises. Alexa ist keine Publizistin, genau wie zahlreiche unserer Autoren, aber sie hat einen bemerkenswerten Beitrag verfasst. Ich habe ihn spontan geliked, kommentiert und mit einer Spende honoriert. In den vergangenen Tagen habe ich viel darüber reflektiert, und Pareto ermöglicht es mir, und jedem anderen, diese Überlegungen zur “Causa Biermann” hier darzulegen.
MSN kommentierte die anstößige Rede wie folgt: mit einem verfälschten Golda-Meir-Zitat lenkte Biermann das Thema auf das Sterben in Gaza, für das er die Palästinenser selbst verantwortlich machte. „Dass ihr unsere Söhne ermordet habt, werden wir Euch eines Tages verzeihen“, habe Meir zu den Palästinensern gesagt, „aber wir werden euch niemals verzeihen können, dass ihr unsere Söhne gezwungen habt, selber Mörder zu werden.“ Alexa Rodrian, in einer Mischung aus Enttäuschung und Empörung, eröffnete ihren Artikel wie folgt:
„Triff niemals deine Idole“ heißt ein gängiger Ratschlag. In gewendeten Zeiten stehen zu dem die Werte auf dem Kopf – und manche Künstler mit ihnen. Die Worte, die aus manch ihrer Mündern kommen, wirken, als hätte eine fremde Hand sie auf deren Zunge gelegt. Die fremde Hand ist bei Biermann eher unwahrscheinlich, denn sein Hang zu Provokationen und Verletzungen haben Tradition, man erinnere sich an den legendären Auftritt bei einer Feierstunde im Bundestag 2014 in der er die Mitglieder der Linksfraktion als “elenden Rest“ und ”Drachenbrut” bezeichnete. Oder seine Beschimpfungen der (ostdeutschen) Wähler von AfD und BSW im August 2024 in einem Zeit-Interview: „Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie. Den Bequemlichkeiten der Diktatur jammern sie nach, und die Mühen der Demokratie sind ihnen fremd.“
Im Februar 2025 wurde Wolf Biermann für sein Lebenswerk mit einem Musikpreis der GEMA ausgezeichnet. Was aber ist sein Lebenswerk, sein mutiges Engagement in der Opposition der DDR bis 1976 oder seine verfehlten Rüpeleien in der Gegenwart? Ein solcher Preis ist fragwürdig, denn kein Lebenswerk ist konsistent, und die Bewertung abhängig von subjektiven Maßstäben. Meist wählen wir unsere Idole nach unseren Idealen, aber die können sich verändern, ebenso wie das Idol. Beethoven widmete seine 3. Sinfonie (Eroica) Napoleon, zog die Widmung aber zurück als dieser sich 1804 zum Kaiser krönen ließ. “Ist der auch nichts anderes, wie ein gewöhnlicher Mensch?” soll er wütend ausgerufen haben. Richtig! Was hatte Beethoven erwartet, einen Gott? “Hosianna” und “kreuzigt ihn” sind Affekte die durch unsere Projektionen verursacht und den Realitäten nie gerecht werden.
Den Preis für sein Lebenswerk kann Wolf Biermann behalten. Er hat Millionen von Menschen in der DDR Mut gemacht. Er hat zahlreiche großartige Gedichte und Lieder verfasst, das behalte ich gerne in Erinnerung. Nun hat er sich selbst vom Sockel gestürzt und durch seinen Empathiemangel das Image beschädigt. Das hätte er vermeiden können, wenn er sich an die Worte seines Lehrmeisters Brecht erinnert hätte.
...\ Dabei wissen wir doch:\ Auch der Hass gegen die Niedrigkeit\ verzerrt die Züge.\ Auch der Zorn über das Unrecht\ Macht die Stimme heiser. Ach, wir\ Die wir den Boden bereiten wollten für die Freundlichkeit\ Konnten selber nicht freundlich sein.\ ...
Er hätte auch von der Medizin nehmen können, die er selbst für andere entwickelt hat \ (1966 für seinen Freund Peter Huchel).
…\ Du, laß dich nicht verhärten\ in dieser harten Zeit.\ Die allzu hart sind, brechen,\ die allzu spitz sind, stechen\ und brechen ab sogleich.\ …
PS: Fortsetzung folgt in der Reihe \ “Was wir von großen Persönlichkeiten lernen können, wenn wir ihnen zuhören würden."