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@ Michael Meyen
2025-02-17 08:50:50
Ich nehme alles zurück, was ich je gegen die Filmförderung gesagt habe. Eine halbe Milliarde Euro im Jahr? Na und. Die heile deutsche Welt im Kino? Der Schuss Erziehung? Das Ausblenden der kleinen Leute mit ihren großen Problemen? Mir ab sofort egal. Sollen Produzenten, Regisseure, Autoren ruhig nach immer mehr rufen. Gebt ihnen aus den leeren Steuertöpfen, am besten mit vollen Händen. Diese Woche habe ich gelernt: Sie drehen im Zweifel nur für mich.
Das Kino war leer, okay. Das ist aber nicht mein Punkt. Dieses Kino ist so gut wie immer leer. Meist sitzen meine Frau und ich allein in einem der neun großen Säle und sind manchmal sogar im ganzen Haus die einzigen neben den beiden an der Kasse. Was auf der Leinwand läuft, ist oft frustrierend. Siehe oben. Ich mag aber keinen Verriss schreiben. Sonst würde es an dieser Stelle jeden Samstag um das Kino gehen. Diese Woche waren wir hin und weg. Unser Leben. Unsere Stars. Unsere Sprache. Und das alles weit weg von der DDR und von Ostdeutschland, im Niemandsland zwischen Regensburg und Pilsen.
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Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Fidel Castro in Warnemünde. Originalbilder, direkt aus meinem Kindergartengedächtnis. Dann Havanna und die Strände mit diesem Wasser, das einem erlaubt, die eigenen Füße zu sehen. Es gibt viele Kuba-Filme, sicher. Aber wo läuft alles auf ein Revolutions-Quiz hinaus, bei dem sich Ost und West gegenübersitzen, die absurdesten Details aus dem Innersten der Maschine abspulen können und dafür in einem Touristenhotel auch noch bejubelt werden? In welchem Drehbuch kann eine Heldin einfach „blauer Würger“ sagen und wie selbstverständlich voraussetzen, dass jeder weiß, um was es geht? Auflösung: Kristall-Wodka. Das Etikett war blau. Die Flasche kostete eigentlich 16 Mark, aber ich weiß wie gestern, dass ich einmal gleich zwei für 55 gekauft habe, als im Wohnheim der Stoff ausging und ich in den Fresswürfel geschickt wurde, Kosename für die hässlichen Häuser, die es in vielen Neubausiedlungen gab, um einen Anlaufpunkt zu haben für Tanz, Kultur, Saufgelage. Der Abend ist in unser Familiengedächtnis eingegangen, weil mich die Studentin, die später meine Frau wurde, vor die Tür gesetzt hat.
Bei den „Kundschaftern des Friedens“ geht es auch um die Liebe, natürlich. Wir sind im Kino. Es geht aber auch um das Altern und um Erinnerungen, die nicht mehr viele teilen. Wir waren in den 2010ern dreimal in Fidels Reich. [Autofahren auf Kuba](https://deutscherkulturkonsument.wordpress.com/2015/03/03/autofahren-auf-kuba/) war der Renner auf einem unserer frühen Blogs, deutlich häufiger geklickt als der Artikel über das [Revolutionsmuseum](https://deutscherkulturkonsument.wordpress.com/2015/02/26/revolutionsmuseum-havanna/) oder der [Text](https://deutscherkulturkonsument.wordpress.com/2015/02/26/kuba/), den dann die *Freie Presse* in Chemnitz übernommen und gedruckt hat, weil der Chefredakteur wusste, dass Kuba für seine Leser immer ein Thema ist. Ein Sehnsuchtsort der DDR-Menschen, erreichbar und zugleich unerreichbar fern, jedenfalls für die allermeisten.
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Robert Thalheim erklärt das alles in diesem zweiten „Kundschafter“-Film nicht. Seine Helden reden wie alte Ostdeutsche, wenn weder Wessis zuhören noch die Kinder. Wie meine Frau und ich zu Hause oder in diesem leeren Kinosaal. Über die Schauspieler muss ich nicht viel schreiben. Henry Hübchen, Katharina Thalbach, Corinna Harfouch, Thomas Thieme, Winfried Glatzeder: Das sind unsere Leute. Lebensbegleiter, wenn man so will. So viele sind nicht übriggeblieben. Ich habe ein [Buch](https://www.freie-medienakademie.de/medien-plus/57) geschrieben, um zu ergründen, warum Medienmenschen aus dem Osten anders sind und mir vielleicht auch deshalb oft näher. Soll ich den Film empfehlen? Ich weiß nicht recht. Bilder, Musik, sogar der Ton (in deutschen Filmen sonst oft unerträglich): Hier passt schon alles. Vielleicht sage ich es so: Wer den Schlussgag ohne Google versteht, sollte ins Kino gehen. Thomas Thieme sitzt dort in einem Motorboot und lockt ein paar Amis auf das Wilhelm-Pieck-Atoll.
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