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2025-05-11 05:57:31
Anti-Spiegel (Artikel)
Ukraine
Die Provokation mit dem 30-tägigen Waffenstillstand
Am Samstag waren Merz, Macron, Tusk und Starmer in Kiew und haben dort einen 30-tägigen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen ab Montag gefordert. Ob es dazu kommt, ist zweifelhaft, denn es handelt sich dabei um ein allzu durchsichtiges Manöver der Europäer, dem Trump allerdings zustimmen könnte.
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von Anti-Spiegel
11. Mai 2025 00:55 Uhr
US-Präsident Trump hat nach Amtsantritt behauptet, den Ukraine-Konflikt schnell lösen zu können und im März hat die US-Regierung bei Gesprächen mit der ukrainischen Regierung einen 30-tägigen Waffenstillstand ins Spiel gebracht. Kiew war nicht begeistert, hat die Idee aufgrund des amerikanischen Drucks dann aber unterstützt.
Russlands Reaktion war keineswegs ablehnend, aber Putin hat erklärt, warum das nicht so einfach ist ( https://anti-spiegel.ru/2025/der-text-der-gemeinsamen-erklaerung-der-usa-und-der-ukraine-was-er-bedeutet-und-was-fuer-russland-warum-inakzeptabel-ist/ ). Erstens muss ein von beiden Seiten akzeptierter Mechanismus erarbeitet werden, der die Einhaltung des Waffenstillstandes an der über tausend Kilometer langen Frontlinie überwacht, und zweitens ist es für Russland inakzeptabel, wenn die Bedingungen des Waffenstillstandes vorsehen, dass Kiew seine Kräfte während des Waffenstillstandes umgruppieren, tiefer eingraben und mit frischen westlichen Waffen versorgen kann.
Darauf wollten der Westen und Kiew nicht eingehen, weshalb die Idee in der Praxis erstmal vom Tisch war. Außerdem funktionierte die Koordination zwischen den USA und der Europa in dieser Zeit nicht, denn während Trump versuchte, einen Waffenstillstand zu erreichen, haben Briten, Franzosen und andere in der EU fleißig eskaliert, indem sie eine „Koalition der Willigen“ ausgerufen haben, die im Falle eines Waffenstillstands Truppen in die Ukraine schicken solle, was für Russland bekanntlich vollkommen inakzeptabel ist.
Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass die Trump-Regierung das Interesse an der Ukraine verliert, weil es dort nicht die Fortschritte gibt, die Trump sich vorgestellt hat. Wem Trump dafür die Schuld gibt – Selensky oder Putin -, darüber gibt es widersprüchliche Äußerungen. Aber die Europäer wittern anscheinend Morgenluft und hoffen nun, die USA wieder auf die Seite der Ukraine in den Konflikt ziehen zu können.
Da der 30-tägige Waffenstillstand in den letzten Tagen im Westen wieder auf die Tagesordnung gehoben wurde, hat Kremlsprecher Peskow noch einmal erklärt, unter welchen Bedingungen das für Russland akzeptabel ist: Der Waffenstillstand soll Kiew keine einseitigen militärischen Vorteile bringen, daher ist Russland mit einem 30-tägigen Waffenstillstand nur einverstanden, wenn Kiew in der Zeit seine Zwangsmoblisierungen aussetzt und wenn der Westen in der Zeit keine neuen Waffen liefert.
Vor diesem Hintergrund war der Besuch des neuen deutschen Kanzlers Merz, des französischen Präsidenten Macron, des britischen Premierministers Starmer und des polnischen Ministerpräsidenten Tusk am Samstag in Kiew interessant. Selensky wollte das Treffen der „Koalition der Willigen“ eigentlich am 9. Mai als Konkurrenzveranstaltung zu den russischen Feierlichkeiten aus Anlass des 80. Jahrestags des Kriegsendes veranstalten, aber das war den Europäern anscheinend zu heiß und so sind sie einen Tag später nach Kiew gefahren.
Erklärungen am Samstagmorgen in Kiew
Am Samstagmorgen sind Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew angekommen und Merz hat dem Statthalter der Bild-Zeitung in Kiew sofort in die Feder diktiert, es werde schwere Sanktionen geben, wenn Russland nicht auf den 30-tägigen Waffenstillstand eingeht. Und Merz sagte auch, wem er dabei Honig um den Bart schmieren will:
„Wir sind mit der amerikanischen Regierung einer Meinung, mit Donald Trump. Wir fordern einen 30-tägigen Waffenstillstand, um Zeit für die Vorbereitung von Friedensgesprächen zu haben.“
Sollte Moskau nicht reagieren und Friedensgespräche ablehnen, werde die Reaktion der EU, Großbritanniens und der USA gut koordiniert erfolgen, betonte Merz. Dann werde es zu einer massiven Verschärfung der Sanktionen kommen und die Ukraine werde politisch, finanziell und militärisch weiterhin massiv unterstützt, denn Merz meinte auch, dass zwischen den europäischen Verbündeten und den USA mittlerweile ein „überraschend hohes Maß an Übereinstimmung“ herrsche.
Merz widersprach Trump nur in einem Punkt: Wahlen in der Ukraine hält Merz derzeit nicht für nötig.
Der Kreml reagierte gelassen auf die Aussagen von Merz. Kremlsprecher Peskow erklärte nur, mit neuen Sanktionen könne man Russland keine Angst machen, Russland sei an die Sanktionen gewöhnt und wisse, wie es darauf zu reagieren hat.
Interessant war, dass auch Macron in Kiew ein Interview gegeben hat, in dem er plötzlich behauptete, die Entsendung von europäischen Truppen in die Ukraine habe nie auf der Tagesordnung gestanden. Im Interview mit dem Fernsehsender TF1 sagte er:
„Es geht hier nicht darum, Tausende, Zehntausende oder Hunderttausende europäischer oder westlicher Soldaten generell einzusetzen. Das hätte keinen Sinn.“
Europa wolle seine Solidarität auf strategische Weise unter Beweis stellen, so Macron. Er erklärte allerdings nicht, was er damit genau meinte.
Dafür relativierte er seine Aussage danach in einem anderen Interview, und sagte, einige tausend europäisch Soldaten sollten „zur Unterstützung“ in die Ukraine geschickt werden.
Es geht Macron und den anderen Mitgliedern der „Koalition der Willigen“ offensichtlich darum, einen Waffenstillstand von vorneherein unrealistisch zu machen, weil Russland der Stationierung westlicher Soldaten in der Ukraine niemals zustimmen wird. Genau das zu verhindern, war ja einer der wichtigsten Gründe, warum Russland in der Ukraine interveniert hat.
30 Tage Waffenstillstand?
Danach trafen sich Merz, Macron, Starmer und Tusk mit Selensky und haben US-Präsident Trump per Video zugeschaltet. In dem Gespräch hat Selensky die Bereitschaft bekundet, ab Montag, dem 12. Mai, einen 30-tägigen Waffenstillstand einzuhalten. Laut dem ukrainischen Außenminister Andrej Sybiga wurde dieser Vorschlag während des gemeinsamen Telefonats unterbreitet. Sybiga schrieb auf X:
„Die Ukraine und alle ihre Verbündeten sind ab Montag zu einem vollständigen und bedingungslosen Waffenstillstand zu Lande, in der Luft und auf See für mindestens 30 Tage bereit. Wenn Russland zustimmt und eine wirksame Überwachung gewährleistet ist, können ein nachhaltiger Waffenstillstand und vertrauensbildende Maßnahmen den Weg für Friedensgespräche ebnen.“
Vor allem der zweite Satz zeigt, dass ein Waffenstillstand ab Montag unwahrscheinlich ist, weil Russland unter den gegebenen Umständen kaum zustimmen würde. Und von einer „wirksamen Überwachung“ kann keine Rede sein, weil die Konfliktparteien – zumindest nach dem, was öffentlich bekannt ist – über die Modalitäten einer solchen Überwachung noch nicht einmal gesprochen haben.
Anschließend legte Macron nach, denn er erklärte, dass die Hilfe für die Ukraine ungeachtet des 30-tägigen Waffenstillstands, den die europäischen Staats- und Regierungschefs ab dem 12. Mai einführen wollen, fortgesetzt werden müsse. Auf einer Pressekonferenz sagte ( https://tass.ru/mezhdunarodnaya-panorama/23907525 ) er:
„Wir gehen davon aus, dass ab Montag ein Waffenstillstand ohne Vorbedingungen in Kraft tritt. Danach werden alle Bedingungen für einen dauerhaften Frieden besprochen. Und genau das wird die Diskussion über diesen Frieden strukturieren. Aber das ist keine Vorbedingung für den Waffenstillstand.“
Ihm zufolge müsse die „Nothilfe für die Ukraine fortgesetzt“ werden. Und danach der „Aufbau einer langfristigen ukrainischen Armee, die in gewissem Sinne die erste Sicherheitsgarantie“ darstelle. Der Waffenstillstand, fügte Macron hinzu, müsse „bedingungslos sein“. Dafür gäbe „es keine Vorbedingungen, weder von Seiten der Ukrainer noch von Seiten der Russen“. Er müsse zu Lande, in der Luft und auf See 30 Tage dauern und unter der Aufsicht der USA stehen.
Ein Stopp der Waffenlieferungen an Kiew sei jedoch nicht in dem von der „Koalition der Willigen“ vorgeschlagenen 30-tägigen Waffenstillstand enthalten, fügte Macron auch hinzu:
„Wir lehnen die Möglichkeit irgendwelcher Zugeständnisse entschieden ab. Keine Vorbedingungen: kein Stopp der Lieferung von Waffen für Verteidigung und Widerstand, keine Vorwegnahme irgendwelcher Verhandlungen.“
Gleichzeitig drohte er erneut mit weiteren Sanktionen gegen Russland:
„Wenn Russland nicht zustimmt, drohen ihm zusätzliche Sanktionen und weitere Unterstützung für die Ukraine. Wir müssen ein neues Sanktionspaket vorbereiten, das sich von den anderen unterscheiden muss. Vielleicht sollten wir in den kommenden Tagen darüber nachdenken.“
Ein neues „Minsker Abkommen“?
Abgesehen davon, dass der Waffenstillstand ab Montag unwahrscheinlich ist, zeigen die Erklärungen vor allem eines: Es geht den Europäern nicht um Friedensverhandlungen, sondern um einen Vorteil für die Ukraine.
Gespräche mit Russland lehnen die Europäer weiterhin ab, der „Waffenstillstand“ ist nichts weiter als eine weitere Drohung gegen Russland mit Sanktionen, ohne irgendeine Form der Gesprächsbereitschaft auch nur anzudeuten.
Das erinnert stark an das Minsker Abkommen vom Februar 2015. Damals waren die Rebellen im Donbass auf dem Vormarsch und die ukrainische Front war nahe daran, zusammenzubrechen. Merkel hat damals die Verhandlungen in Minsk organisiert und das Ergebnis war das Minsker Abkommen, das die Kämpfe zwar nicht komplett beendet, aber die Rebellen von einem weiteren Vormarsch abgebracht hat.
Unter dem Vorwand, eine friedliche Lösung zu suchen, gab es danach immer wieder ergebnislose Verhandlungen im Normandie-Format zwischen Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland, während der Westen die Ukraine acht Jahre lang aufgerüstet und auf einen Krieg mit Russland vorbereitet hat. Das Minsker Abkommen wollten Kiew, Berlin und Paris nie umsetzen, es ging ihnen nur darum, Zeit zu gewinnen, um die Ukraine für einen Krieg gegen Russland aufzurüsten. Das haben alle Vertreter des Westens, die an den Verhandlungen in Minsk beteiligt waren, inzwischen offen gesagt ( https://anti-spiegel.ru/2023/nach-merkel-hollande-und-poroschenko-auch-selensky-wollte-minsker-abkommen-nie-umsetzen/ ).
Die heutige Situation erinnert stark an 2015: Die ukrainische Front ist kaum noch zu halten und der Westen versucht wieder, den Zusammenbruch der Front mit einem eiligen Waffenstillstand zu verhindern. Russland soll wieder in die gleiche Falle tappen, wie 2015 und einen Waffenstillstand akzeptieren, der nur den Sinn hat, Kiew aufzurüsten und (wieder) kampfbereit zu machen. Im Gegensatz zu 2015 wird das heute sogar ziemlich offen gesagt.
Warum sollte Russland darauf also eingehen?
Nachtrag: Als ich diesen Artikel gerade fertig geschrieben hatte, ist Putin in Moskau vor die Presse getreten und hat direkte Verhandlungen mit Kiew für Donnerstag, den 15. Mai, in Istanbul angeboten ( https://anti-spiegel.ru/2025/der-wortlaut-von-putins-gespraechsangebot-an-kiew/ ). Die russische Delegation wird dort sein, die Frage ist, wie Kiew und der Westen reagieren werden.
Damit ist klar, dass es ab Montag keinen Waffenstillstand geben wird. Stattdessen macht Putin nun den entscheidenden Test: Ist Kiew tatsächlich zu Friedensgesprächen bereit? Und wie wird die EU darauf reagieren? Der US-Regierung dürfte das gefallen, weil sie schon lange auf direkte Gespräche zwischen Moskau und Kiew drängt, nachdem alle indirekten Verhandlungsversuche der USA keine Ergebnisse gebracht haben.
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Quellen & Links
Autor: Anti-Spiegel
Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
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https://anti-spiegel.ru/2025/die-provokation-mit-dem-30-taegigen-waffenstillstand/