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@ Die Friedenstaube
2025-04-15 06:16:00
Autor: Michael Meyen. Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier.**
Es geht gut los. „WC für alle“. Daneben noch einmal in der Sprache des Imperiums. „All Gender (urinal inside)“. Das hilft nicht wirklich, weil das Pinkelbecken vor der Tür ist und man nicht weiß, wer gerade dahinter hockt. Also warten bis zur Auflösung. Wir sind im Haus der Demokratie in der Greifswalder Straße. Immerhin.
Eingeladen hat die Neue Gesellschaft für Psychologie. Der Name täuscht. Diese neue Gesellschaft ist alt. Sehr alt. Damit meine ich gar nicht Laura von Wimmersperg, Jahrgang 1934, die den ersten Paukenschlag setzt. Sie habe, sagt diese Dame mit weißem Haar sinngemäß, als sie ans Podium tritt, sie habe sich gequält mit ihrem Text, das Geschriebene wieder und wieder gelesen und dann – in den Papierkorb geworfen. Ihre Gefühle seien größer, als alle Worte jemals sein könnten. „Krieg und Frieden“ heißt dieser Kongress. Laura von Wimmersperg ist die Grande Dame der westdeutschen Friedensbewegung, bekannt weit über Berlin hinaus. Nato-Doppelbeschluss, Jugoslawien, Irak, Afghanistan. Ein Ostermarsch nach dem anderen. Laura von Wimmersperg hat auch den 24. Februar 2022 überlebt und kann die Kampfgefährten kaum mehr zählen, die in einem der Gräben am Wegesrand verrotten. Migration, Klima, Corona und immer wieder Russland und die Ukraine.
Die Neue Gesellschaft für Psychologie ist noch da, einerseits. Versprengte DKPler, Leute aus den K-Gruppen, Marxisten, Maoisten. Bevor ich „andererseits“ sage, brauche ich einen Disclaimer. Ich darf diesen Text nicht schreiben. Ich habe in Berlin einen Vortrag gehalten über „Journalismus und Macht“ und das Programm nicht komplett gesehen. Einen ganzen Tag sitzen: Das erlaubt mein Körper nicht mehr. Augen und Ohren haben so manche Interna verpasst und fast alles, was über Gaza gesagt wurde oder über die Kampagne „Für ein neutrales Deutschland“. Damit verbietet sich eigentlich jeder Bericht. Karin Leukefeld, seit 25 Jahren als Journalistin unterwegs in einer Gegend, die manche Nahost nennen und andere mittlerweile Greater Middle East, hat das in Berlin wunderbar formuliert. Mit allen reden, lesen, zuhören, fragen. Aus halben Sachen wird kein ganzes Bild.
Karin Leukefeld hat auch gesagt, dass sie einst in den Journalismus gegangen ist, um Brücken zu schlagen, und dass sie deshalb weniger die Schlagzeilen interessieren als das Leben dahinter. Vielleicht hilft ja mein Blick von außen selbst dann, wenn er mit blinden Flecken daherkommt. Damit nun endlich zum „andererseits“ und vor allem zum Alter. Ich war nicht dabei in der kleineren Bundesrepublik, aber so ungefähr muss es gewesen sein. Die Vokabeln, der Habitus. Rosa Luxemburg, SDS und Klassenkampf, Kapitalismus und Entfremdung. Murmeln, klatschen, reinrufen. Dieses Publikum geht mit. Jawoll! Genau! Ja! Mmh. Wenig Psychologie und viel Materialismus selbst bei denen, die als Psychologen vorgestellt werden. Sicher ist das alles ganz furchtbar mit den Verhältnissen. Das wusste schon der gute Brecht. Die Frage allerdings, die mich beschäftigt, seit ich nicht mehr zur Vorhut der Arbeiterklasse gehöre: Welche Wunder waren nötig, dass einige wenige all die Zwänge hinter sich lassen konnten und nun bereitstehen, um die Massen aufzuklären? Und fast noch wichtiger: Wozu braucht diese Avantgarde Massen, denen sie ohnehin nicht über den Weg traut? Ich spitze zu und verallgemeinere, okay. Trotzdem. Das ist der alte Geist mit allenfalls leicht entstaubten Analysen und Rezepten, der den Staat verschonen möchte und China sowieso. Klaus-Jürgen Bruder, der Cheforganisator, steht immer wieder auf, um zu akademisieren und damit auch zu differenzieren. Analyse und Aktivismus, Wunden lecken und sich dabei auch noch zu vergewissern, dass man immer noch Kurs hält: So ein Spagat überfordert jeden Kongress.
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Wenn die Reihen gelichtet sind, verbietet es sich fast von selbst, auch noch auf die letzten Mitstreiter einzuprügeln. Wer kämpft, hat schon verloren, sagt Christian Dewanger, der sich als Daoist vorstellt und keine Lust hat, China von der Ausbeutung freizusprechen und von allen anderen Sünden der Macht. Sonst aber: Wohlwollen und weglächeln. Wer weiß, wozu der Staat noch gut sein kann und der große Bruder in Peking. Man kann sich derweil ja an der Linkspartei abarbeiten, an Gregor Gysi und an den Brandmauer-Baumeistern, die es auch im Quartier ganz links gibt, spätestens seit den Montags-Mahnwachen 2014. Laura von Wimmersperg sagt: Habt Geduld und übt euch in Nachsicht, liebe Leute. Bei ihrem 90. im Herbst, erzählt sie, habe sie die alten Kameraden genauso eingeladen wie die neuen und die Missgunst einfach übersehen – anders als die Bundeswehr-Werbung an der Edeka-Kasse vor der Tür. Auf zur Marktleitung mit einer Frage auf den Lippen: Wie kann jemand, der das Leben selbst so wenig achtet, allen Ernstes auf jedem Plakat behaupten, dass er Lebensmittel liebt? Beim nächsten Einkauf sei der Laden sauber gewesen.
Ich erwähne diese kleine Geschichte, weil Laura von Wimmersperg eine Ausnahme ist. Vielleicht kann das nur eine Frau, die alles erlebt hat: 20 von 30 Rede-Minuten verschenken und so eine Tür öffnen für Nachdenken und Reden. Die alten Männer, nur einen Wimpernschlag jünger, würden den Teufel tun. Saurier-Ausstellung, sagt mein Sitz-Nachbar. Das kann so gemeint sein oder so. Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, ist der Jüngste in diesem Trio infernale, das einen ganzen Vormittag bekommen hat und von keinem Moderator der Welt zu stoppen wäre. Effenberger war Soldat und hat den Dienst quittiert, als ihm klar wurde, worauf alle Planungen hinausliefen. Der Atomtod, damals schon. Die Zeitenwende beginnt für ihn mit dem Kosovo. Seitdem laufe die Vorbereitung auf den großen Krieg. Iran, Russland, China. Effenberger scrollt durch die Strategiedokumente, wechselt zum Westfälischen Frieden, der 15 Jahre Anlaufzeit gebraucht habe, und schüttelt den Kopf beim Blick auf Donald Trump, der offenbar glaube, alles mit einem Anruf erledigen zu können, und auf jemanden wie Keith Kellogg gesetzt habe, einen Mann aus dem Herzen der Finsternis.
Werner Rügemer, der nächste Saurier, ist fünf Jahre älter und sehr viel ruhiger als Effenberger, aber keineswegs leiser. Dass er die Lösung in China sieht, hat mit seinem Gesellschaftsbild zu tun und mit der Rolle, die das US-Kapital darin spielt. Nicht *eine* Hauptrolle, sondern DIE. Der Treiber von allem. Hitler und die Wehrmacht, der Staatsstreich in Guatemala und das Office of Strategic Services, der erste Auslandsgeheimdienst der USA, 1941 nicht zufällig gegründet von den Wall-Street-Anwälten Allen Dulles und William Donovan. Folge der Spur des Geldes und löse so die Rätsel der Geschichte.
Auch Rudolph Bauer, Jahrgang 1939, taucht tief ein in die Vergangenheit. Ein Saurier-Privileg. Demos gegen den Krieg? Konferenzen für den Frieden? 1913/14 versandet und in Weimar auch. Ob ein Generalstreik geholfen hätte? Wenn dieses Wort in den nächsten Stunden und Tagen fällt, geht im Saal die Sonne auf. Rudolph Bauer hört nicht mehr besonders gut, aber er hat noch einen zweiten Punkt, der diesen Kongress fesselt. Ist das, was ich hier etwas lapidar Friedensbewegung nenne, möglicherweise genau die Begleitmusik, die jeder Kriegstreiber braucht?
Was bleibt jenseits von Gesprächen, Handynummern, Lesetipps? Ich weiß jetzt, dass nicht nur die DDR-Eliten überlebt haben, die 1990 zwar alle Positionen und jeden Einfluss verloren haben, aber sich weiter trafen mit allem Drum und Dran. Netzwerke, Periodika, Bücher. So gut wie nichts davon ist in der gesamtdeutschen Öffentlichkeit diskutiert worden, aber es hat die Jahre mit Sinn gefüllt. Wäre mehr möglich gewesen, wenn es einen Link gegeben hätte zu den Reservaten der alten Westlinken? Zur Neuen Gesellschaft für Psychologie zum Beispiel? Vielleicht gelingt die Blutauffrischung, vielleicht auch nicht. Trost gab es aus dem Raum mit einer Geschichte aus dem Orient. Prophet Abraham liegt im Feuer, und ein Spatz hat Wasser im Schnabel. Dieser Spatz weiß, dass er allein nichts ausrichten kann, hört aber trotzdem nicht auf, um in den Spiegel schauen zu können, wenn er eines Tages vor seinem Schöpfer steht. Schön.
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