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@ Die Friedenstaube
2025-04-17 07:40:05Autor: Gerd Conradt. (Foto: Thomas Klingberg). Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier. Sie wollen die neuesten Pareto-Artikel auf einen Blick sehen (Friedenstaube & Co.), um nichts mehr zu verpassen?* Hier geht es zu unserem Telegram-Kanal.***
Ein Leben, geprägt von Geschichte und Herzschlag: Vom jungen Pionier am Kyffhäuser, wo die Sage von Barbarossa lebt, bis zur roten Fahne über dem zerstörten Reichstag. Gerd Conradt blickt zurück – auf die Flucht vor der Roten Armee, die Schrecken des Unternehmens Barbarossa und die Bauernkriege vor 500 Jahren. Inmitten von Kriegen und Zeitenwenden fragt er: Was verbindet Kaiser Barbarossa, Thomas Münzer und die Mahnmale unserer Zeit? Ein bewegendes Zeugnis über Macht, Erinnerung und die Suche nach Frieden – erzählt aus Cabarita Beach, 30.623 Tage nach seiner Geburt.
Zeit und Geschichte, Zeitgeschichte und ihre Verknüpfungen mit dem privaten Leben der Menschen werden vom Herzschlag jedes Einzelnen bestimmt. Zufälliges, Wiederholungen, Parallelen – Macht und Öffentlicheit – Geschichte als Konstruktion – Biografien: Alles ist nur möglich, wenn die Herzen der Menschen schlagen, pulsieren, für Lebendigkeit sorgen.
Im Monat Mai wird an zwei für die deutsche Geschichte bedeutende Ereignisse erinnert: an das Ende des 2. Weltkriegs vor 80 und an das Ende der Bauernkriege vor 500 Jahren. Mit diesen Daten verbinden mich ein Name, Kaiser Friedrich der I, genannt Barbarossa, und ein Symbol, die Rote Fahne.
Heute, an dem Tag, an dem ich diesen Text schreibe, am 18.03.2025, Cabarita Beach, Australien, lebe ich 30.623 Tage.
In dieser Zeit gab es immer irgendwo auf der Welt Krieg. Im Jahr meiner Geburt startete die deutsche Wehrmacht am 22.06.41 unter dem Decknamen Unternehmen Barbarossa ihren Überfall auf die Sowjetunion. Drei Millionen gut ausgebildete, strahlende, meist blauäugige hochgerüstete Männer begannen den zerstörerischsten Feldzug der Menschheitsgeschichte. Ziel war die Beseitigung des „jüdischen Bolschewismus“, die Germanisierung der Länder von Deutschland bis zum Ural. Fruchtbare Böden, Bodenschätze und ein Heer von Zwangsarbeitern sollten dem germanischen Reich zu Weltruhm verhelfen.
Mit massiver Unterstützung durch die USA widerstand die Rote Armee und besiegte den Aggressor. Deutschland war zerstört. Insgesamt 60 Millionen Menschen getötet.
In diesem Jahr wird am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, an das Ende des 2. Weltkriegs vor achtzig Jahren erinnert. Eine rote Fahne mit Hammer und Sichel war damals am zerstörten Reichstag gehisst – Berlin, Deutschland geteilt in die Hoheitszonen der Alliierten und die der Sowjetunion.
Nach der Flucht meiner Familie vor der Roten Armee – im Januar 1945 – aus dem Teil Deutschlands, der heute zu Polen gehört, lebten wir im sowjetisch verwalteten Teil der späteren DDR. Als Junger Pionier nahm ich an Zeltlagern teil. Besonders in Erinnerung ist mir das auf dem Ratsfeld am Fuße des Kyffhäusers, jenem Ort, an dem vor 500 Jahren ein Aufstand der Bauern unter Führung des Reformators Thomas Münzer (1489 - 1525) von den Heeren der Fürsten blutig niedergeschlagen wurde. Münzer wurde öffentlich hingerichtet.
Martin Luther hatte zunächst Sympathie für die Bauern, verfasste dann jedoch eine Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten“, mit der er dazu aufrief, die Revoltierenden zu töten – dies sei eine religiös verdienstvolle Tat. Die Reformation als Verrat.
Auf dem Kyffhäuser steht ein großes Denkmal, mit dem an Friedrich I., Barbarossa, erinnert wird. Der Sage nach ist er nicht gestorben, sondern lebt in der naheglegenen Barbarossahöhle fort.
Vom Pionierlager aus besuchten wir die beeindruckende Höhle, an deren Ende an einem großen Steintisch eine mit Krone, Zepter und Krönungsmantel ausgestattete Puppe sitzt, deren roter Bart in den Tisch gewachsen ist. Kaiser Barbarossa, 1122 – 1190, der Rotbart, war eine Persönlichkeit von historischer Größe. Er war ein Mann des Wortes und der Tat. Er konnte reiten, jagen, mit der Waffe kämpfen, jedoch weder lesen noch schreiben – so die Überlieferungen. Er war Krieger und Diplomat, Kaufmann und ein Mann von Kultur. Viele Kriege führte er in Italien, mehrere gegen Mailand, wo jeweils Städte und ganze Ländereien geplündert und vernichtet wurden.
Er war ein kluger Taktiker, der Zwietracht für seine Zwecke nutzen konnte. Waren seine Vorgänger für Milde und Barmherzigkeit angesehen, herrschte nun die Strenge der Gerechtigkeit. Im Umgang mit den Päpsten handelte er klug. Das führt mich wieder zur Roten Fahne. Karl der Große vergab nämlich um das Jahr 800 Land an seine Untertanen. Die Übergabe wurde mit einer roten Fahne markiert. Sie stand für „freie Bürger bei freier Arbeit auf freiem Land“. Barbarossa erreichte beim Papst die Heiligsprechung Karls des Großen im Jahre 1165. Karls Gebeine wurden in den heute als Heiligtum verehrten Karlsschrein in Aachen umgebettet.
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Alle Kriege führen zu Zeitenwenden, verändern Machtstrukturen. Ländergrenzen werden neu gezogen oder verschwinden. Derzeit versuchen neue Kaiser die Welt neu zu ordnen. Sie sind Kriegsherren – auch Kaufmänner. Lassen sich Krieg und Wirtschaft trennen?
Warum Barbarossa heute? Das Denkmal am Kyffhäuser wurde von Nationalisten errichtet, die in ihm den Gründer des Deutschen Reiches sahen. Heute ist das Denkmal wieder ein beliebter Versammlungsort der neuen Rechten.
Im Mittelpunkt des Gedenkens an die verlorene Schlacht der Bauern vor 500 Jahren wird das monumentale Panoramabild Freibürgerliche Revolution des Leipziger Malers Werner Tübke stehen. Das in den Jahren von 1976 bis 1987 von der Regierung der DDR in Auftrag gegebene Bild zählt zu den größten Panoramen der Welt.
Es zeigt am Beispiel des Aufstands der Bauern ein im Geiste der Renaissance gemaltes Welttheater. Es ist kein Schlachtbild im üblichen Sinn, eher eine Allegorie auf ureigenste menschliche Ängste, die Darstellung einer Apokalypse, eine historische Parabel auf Glaubenskämpfe der Moderne, auf eine Welt im Taumel, Weltgeschichte als Weltgericht.(1)
In Berlin-Treptow steht das Sowjetische Ehrenmal, das in seiner Wuchtigkeit an den ruhmreichen Sieg der Sowjetunion über den Hitlerfaschismus erinnert. Es ist das größte und markanteste Kriegsdenkmal außerhalb Russlands. 1949 am 70. Geburtstag von Stalin eingeweiht, ist es die Kanonisierung eines endgültigen Kriegsbildes.(2) Errichtet auf den namenlosen Gräbern 7000 gefallener Soldaten, verkörpert ein übergroßer sowjetischer Held, gottgleich, einen Sieger, der mit dem Schwert das deutsche Hakenkreuz zerschlägt. Eine unmenschliche Statue, die nichts mit der wahren Tragödie und dem unermesslichen Preis für den Sieg zu tun hat. Stalins Sicht auf Kultur unterscheidet sich nicht von der Hitlers oder anderer Diktatoren – sie stehen für eine Verherrlichung von Stärke, oft personalisierter Autorität – es sind Mahnmale historischer Täuschung und ideologische Fälschung.(3)
Wie damit umgehen am 80. Jahrestag der Befreiung? Vermutlich wird es in diesem Jahr heftige Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine geben. Neue Forderungen nach Abriss werden laut. Das Denkmal schleifen? Im Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, in dem die Deutsche Einheit festgeschrieben wurde, verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland, für den Erhalt der sowjetischen Mahnmäler zu sorgen.
Zur Erinnerung: Ein Kunstprojekt des Künstlerehepaares Christo und Jeanne-Claude, Verhüllter Reichstag, 1995, führte zu einer spirituellen Reinigung dieses von verhängnisvoller Geschichte belasteten Gebäudes. Das Ehrenmal in Treptow schwarz verhüllen?
Auf einer Reise nach Jakutien, einer Republik, die zur russischen Einflusszone gehört, pilgerte ich vor meiner Abreise zum Ehrenmal für die im Großen Vaterländischen Krieg gefallenen Menschen. Zu meiner Überraschung und Freude hatten die Kinder das Mahnmal zu einem Spielplatz verwandelt. Sie kletterten in die Panzer, über die Kanonen und spielten Fangen um die bronzenen Heldenfiguren herum.
Viele tausend Herzen haben bereits in den aktuellen Kriegen aufgehört zu schlagen. Die Herzen der verwundeten Menschen, Landschaften und Tiere schmerzen.
Mein Herz schlägt. Die Arbeit an dem Text gibt meinem Leben Sinn. Die Gedanken, Ideen fliegen.
Herzen wollen tiefes Glück, weder Angst noch Verzweiflung, nicht Hunger und Krieg.
Auch mit 83 Jahren erinnere ich mich noch gut an die Todesängste auf der Flucht mit meiner Mutter und meinen Geschwistern. Der Vater war im Krieg.
Am Tag der Befreiung hat mein neuer Film Premiere „FARBTEST, 1968 – 2024, ein rotes Stück Stoff im Wind“.
Tanz als Revolution, aus Ideologie wird Poesie.
\ Anmerkungen:
(1) Eduard Beaucamp, FAZ, 28.05.2004 (Wikipedia)
(2, 3) Irina Scherbakowa, Sowjetische Kriegsdenkmäler, was bleibt? Am Beispiel Treptow. 2022
Der Link zum Filmtrailer:
https://www.youtube.com/watch?v=tHe36fXYnBw&t=5s
Gerd Conradt ist ein Deutscher Filmemacher und Künstler. Geboren 1941 in Schwiebus (heute Polen), floh seine Familie 1945 vor der Roten Armee nach Thüringen. Er studierte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, drehte avantgardistische Filme wie „Farbtest Rote Fahne“ (1968) und war politisch aktiv, was zu seiner Relegation führte. Später arbeitete er an Dokumentarfilmen und Installationen, u. a. über die Berliner Mauer und Neuseeland.**
Filme und Ausstellungen: Wikipedia.
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