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@ Pareto
2024-09-08 22:01:12Vorab eine Warnung: Der Rezensent ist befangen. Denn er ist ein ehemaliger Klient des zu besprechenden Autors. Nachdem der Trailer des von mir co-produzierten Corona-Dokumentarfilms „Pandamned" von YouTube binnen Minuten gelöscht worden war, schalteten wir Anwalt Steinhöfel ein. Einstweilige Verfügung, Eilverfahren, was man eben so macht im Rechtsstaat. Steinhöfel gewann den Fall, man könnte sagen: verlässlich, denn keiner gewinnt in Deutschland so oft gegen die Internetgiganten in Presse- und Meinungssachen, wie Steinhöfel: gut 90% der Fälle.
Doch was bedeutet heute schon „vor Gericht siegen"? Unser Fall zeigte mir, wie dysfunktional die Deutsche Justiz geworden ist. Eilverfahren sind eine Sache von Tagen. Das Gericht entscheidet nach summarischer Prüfung in Form einer Interessenabwägung. Das „Eilverfahren" der Berliner Richter dauerte ein Jahr. Der Trailer des Films wurde wieder online gestellt als der Film auf der unzensierbaren Plattform Rumble bereits über 1 Million Aufrufe hatte. Pyrrhus-Siege im Reich der Neuen Normalität nach dem Motto: „Wenn du schon gewinnst, soll es dir maximal wenig nützen." Danke für nichts.
Viele kennen ihn noch als Werbegesicht von Media Markt („gut, dass wir verglichen haben"; „ich bin doch nicht blöd"), einige schon mehr als Publizisten in Zeitungen und Blogs, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält. In Rechtssachen ist er als Anwalt wohl am ehesten das, was man im hybriden Informationskrieg anerkennend ein echtes „Frontschwein" nennen darf. Steinhöfel operiert an vorderster Front. Er tritt dabei nicht selten gegen die hochbezahlten Anwälte von Großkanzleien an, die im Auftrag von Facebook, Google & Co. tätig sind. Diese füttern die Gerichte mit Papierbergen aus immer gleichen Textbausteine, während er den Dreh des Falles finden muss, um durchzudringen. Eine kleine "David gegen Goliath"-Geschichte gehört ebenfalls zu diesem Geschäft. In seinem Buch gibt Steinhöfel nun einen seltenen Einblick in seine Tätigkeit und entwirft damit gleichzeitig ein Panorama dessen, was man in Deutschland noch öffentlich sagen darf. Ein Buch wie ein Kriegsbericht von der Maginot-Linie der Meinungsfreiheit.
Löschungen, Kanalsperrungen, Antisemitismus-Vorwürfe, Zensur, Fact-Checker, Hass & Hetze: Der öffentliche Debattenraum ist längst zu einem ideologischen Minenfeld geworden. Politische Sichtverzerrungen treffen auf eine über Jahrzehnte gewachsene Judikatur, auf dass am Ende hoffentlich auch nur erlaubt sei, was der aktuellen Sache gerade am besten dient. War es zuletzt in der Weimarer Republik (die bekanntlich kein gutes Ende nahm) so schlimm? Man kann Tucholsky neben Steinhöfel legen und sehen, dass die Blindheit auf dem „rechten Auge" von damals sich nun auf das „linke Auge" gelegt hat. Der politische Kampf und der rechtliche Kampf vermischen sich.
So zuletzt auch im Fall Julian Reichelt gegen die Deutsche Bundesregierung. Reichelt hatte getwittert, dass die deutsche Regierung Entwicklungshilfe in Millionenhöhe an die Taliban leistet, was zu einer einstweiligen Verfügung und einem Gerichtsverfahren gegen ihn führte. Steinhöfel nahm sich des Falles an und reichte Klage gegen den deutschen Staat ein, da Reichelt sich in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt sah. Dieses Recht hat der Staat nicht, er kann sich nur auf schützenswerte Eigeninteressen stützen. Kurios an diesem Fall: Der Deutsche Staat wollte sich doch tatsächlich auf eine „schwerwiegende Funktionsbeeinträchtigung" berufen. Ein Tweet und der Staat geht in die Knie? Wirklich? Wenn der Staat durch den Tweet eines Journalisten in seiner Funktion beeinträchtigt werden sollte, hat er dann nicht gewichtigere Probleme?
Die Zeiten ändern sich eben sichtlich und wer die Nase in die Luft hebt (oder in das Buch Steinhöfels hält) bekommt den Geruch der Neuen Zeit etwas früher mit. Es ist ein abgestandener, dumpf-modriger Geruch eines unausgelüfteten Kollektivbewusstseins, welches Andersdenkende lieber zum Schweigen bringt als zu widerlegen. Die Twitter-Files haben bereits gezeigt, wie der Staat unliebsame Informationen in sozialen Netzwerken zensiert.
Zuerst betraf es Terrorinhalte, später ging es gegen russische Bots, jetzt gegen jegliche Form unliebsamer Information, selbst von hoch dekorierten Experten, wie in Zeiten von Corona. Der Geist der Ideologie befällt die Politik früh und die Instrumente des Rechts etwas später; doch irgendwann gestaltet die Ideologie auch das Recht um. Dann spätestens wird die Rechtsanwaltstätigkeit zur Spiegelfechterei. Steinhöfels Buch ist ein Warnruf, ob noch zur „rechten Zeit", wird sich zeigen. Wer sein Buch aufschlägt, bekommt eine kleine Endoskopie des deutschen Rechtsstaats in Form einer Fallsammlung von „worst-cases", vorgetragen in einer plaudernden Schnodder-Sprache, die man in jeder Bar und an jedem Wurststand der Republik versteht. Möge die Botschaft auch in den Justizministerien von Bund- und Ländern verstanden werden!
Joachim Steinhöfel, Die digitale Bevormundung: Wie Facebook, X (Twitter) und Google uns vorschreiben wollen, was wir denken, schreiben und sagen dürfen, FBV (2024), 224 Seiten, SFr. 28.90/17.26 Euro
Die Rezension erschien auch in der Weltwoche.
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Über das Thema Aufarbeitung (u.a.) durfte ich vor kurzem mit Petra Führich sprechen, hier geht es zum Gespräch: